Von einem Zwei-Tage-Krieg zu einem Zwei-Jahres-Krieg

Putins Angriffsplan eines Zwei-Tage-Krieges scheiterte an der Verteidigung der Ukraine durch die gesamte Gesellschaft - mit unserer Hilfe. Der russische Diktator betreibt jetzt die Vernichtung der Ukraine in einem Zwei-Jahres-Krieg. Was heißt das für uns?

Nico Lange | 24. Juni 2022

Dieser Krieg wird nur dadurch beendet, dass Putin militärisch gestoppt wird. Wird Putin militärisch nicht gestoppt, folgen auf Mariupol, Sjewjerodonzek und Lyssytschansk erst Kramatorsk und Slowjansk, dann Saporishje und Dnipro, dann Charkiw und Mykolajiw, dann Odessa und Kiew.

Waffen- und Munitionslieferungen machen den Unterschied. Deutschland hat dazu bereits mehr beigetragen, als manche Debatte vermuten lässt. Umfang und Geschwindigkeit der Lieferungen müssen sich jedoch immer wieder an der militärischen Lage messen. Es zählt nur ein Ergebnis, das den Ukrainern hilft, den Kriegsverlauf zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Deutschland kann deutlich mehr Artillerie und gepanzerte Fahrzeuge, auch Schützen- und Kampfpanzer, mehr Munition und Treibstoffe liefern und dabei schneller sein: mit dem eigenem Willen, einen Unterschied zu machen - mit Kreativität, mit Pragmatismus, mit Ownership.

Damit die ukrainischen Streitkräfte die militärische Lage wenden können und uns damit den von Bundeskanzler Scholz mehrfach formulierten Zielen näherbringen, brauchen sie mehr, schnellere und konstante Waffenlieferungen.

Zwei-Jahres-Krieg heißt: Es braucht einen Übergang von spontanen, improvisierten Lieferungen zu systematischer Planung, regelmäßiger Abstimmung mit Industrie, Partnern und der Ukraine, Vorausplanung, Meilensteinen und spezieller Produktion von Material und Munition. Es braucht jetzt bezahlte Aufträge und weitere Planungen für Waffen und Munition, die im Herbst 2022 und im Frühjahr 2023 geliefert werden sollen. Dazu gehört mehr europäische und internationale Kooperation über rein nationale Waffenhilfe hinaus. Wir benötigen auch Clearance, z.B. durch die NATO, Standardisierung und Vereinfachung der Logistik und vorausschauendes Hochfahren von Waffen- und Munitionsproduktion.

Die Ukrainer räumen, so gut sie können, Minen und setzen die Lebensadern der Infrastrukturen instand. Deutschland sollte das mit aller Kraft verstärken und beschleunigen - um ziviles Leben, Landwirtschaft und wirtschaftliche Tätigkeit schnell wieder zu ermöglichen. Schienen, Straßen, Brücken, Wasserleitungen, Kanalisation, Elektrizität, Mobilfunk, Internet müssen repariert und wiederaufgebaut werden, auch wenn der Krieg noch weitergeht.

Die Wirtschaft der Ukraine muss in einem langen Krieg unbedingt am Leben gehalten werden. Deutschland und die EU geben dazu bereits großzügig Kredite und Finanzhilfen. Funktionierende Kommunikation, Banking, Bezahlsysteme helfen ebenso wie Kleinfahrzeuge und Benzin, damit auch die gebliebenen und zurückgekehrten kleinen und mittleren Unternehmer ihr Wirtschaftsleben aufrecht erhalten können. Gerade hier könnten auch staatlich geförderte oder zumindest angestoßene und begleitete Städtepartnerschaften, Initiativen von IHKs und Verbänden noch mehr bewirken.

Putin hat nach dem Scheitern des Zwei-Tage-Krieges Russlands Militär, Propaganda, Industrie und Gesellschaft auf Zwei-Jahres-Krieg umgestellt. Die Bundesregierung sollte feste Arbeitsstrukturen schaffen, die sich dauerhaft nur mit der Unterstützung der Ukraine beschäftigen.

Geteilte Verantwortung in der Bundesregierung sollte zusammengeführt werden, um eine mittel- und langfristige Gesamtstrategie zur Unterstützung der Ukraine im Krieg entwickeln und umsetzen zu können. Eine ständige Arbeitsstruktur der Regierung zur Unterstützung der Ukraine könnte auch befördern, dass sich wirklich jemand persönlich verantwortlich fühlt und den Erfolg der Ukraine als eigenes Anliegen betrachtet.

In einem langen Krieg wird die relative Bedeutung Deutschlands als Industriemacht für die Unterstützung der Ukraine wachsen. Bisher hat neben den USA vor allem Mittel- und Osteuropa sehr viel und schnell geleistet, häufig aus eigenen Beständen mit sehr hohen eigenen Kosten. Je länger der Krieg dauert, desto weniger wird Deutschland darauf bauen können, dass andere dafür sorgen, dass die Ziele des Bundeskanzlers und der Bundesregierung "Die Ukraine darf nicht verlieren" und "Russland darf nicht gewinnen" erreicht werden.

Der heute bereits vier Monate andauernde Krieg wird erst enden, wenn Deutschland gemeinsam mit den Partnern die Ukraine stark genug macht, um Putin zu stoppen.

Original-Thread: Nico Lange on Twitter: "Putins Angriffsplan eines Zwei-Tage-Krieges scheiterte an der Verteidigung der Ukraine durch die gesamte Gesellschaft - mit unserer Hilfe. Der russische Diktator betreibt jetzt die Vernichtung der Ukraine in einem Zwei-Jahres-Krieg. Was heißt das für uns? (5 Minuten-Thread)🧵" / Twitter

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